Fotohoch2 – Text zum Ausstellungsfoto

Lieber Betrachter;
schön, dass Sie unsere Fotoausstellung besuchen und vielen Dank für Ihr Interesse an diesem Bild und dem Aufruf meiner Homepage!
Das Bild aus der Ausstellung im Leonberger Rathaus:
Was sehen Sie? Was ist das Hauptmotiv?
Für mich ist es die Frau im blauen Kleid, die – bewusst gegen Fotoregeln – am Bildrand sitzt. Immer wieder wandert mein Blick vom vermeintlichen Hauptmotiv ab und zu ihr hinüber.
Entstanden ist das Bild in „street Fotografie“, d. h. die dargestellten Personen sind rein zufällig; ich kenne die Protagonisten nicht – die Fragen, die mich beschäftigen: in welcher Beziehung könnten sie zueinander stehen? Tun sie dies überhaupt? Was denkt die Frau, was fühlt sie?
Ist es ein Bild und eine Geschichte oder nicht etwa zwei?
Ließe sich das Foto nicht teilen? Aber könnte jede Fotohälfte für sich alleine stehen?
Oder sind es möglicherweise zwei Geschichten in einer? Die Abbildung eines Lebens? Wenn die dargestellten Frauen ein und dieselbe Person wären – wäre es dann ein Blick zurück in die Vergangenheit oder nach vorne in die Zukunft? Scheinen die Füße der beiden Frauen, doch auf derselben Treppenstufe zu stehen. Bildet das Foto einen Zeitstrahl ab?
Anders gedacht: Könnte das Bild für die Veränderung und das Wahrgenommenwerden der Frau in unserer Gesellschaft stehen? Gerade noch (an) in ihrer Hochzeit (jung, schön, begehrt) – nun als alte Frau, alleine, einsam, an den Rand dieser gedrängt?
Und: wäre die Bildwirkung dieselbe, wenn hier etwa ein Mann anstelle der Frau säße?
Wo sehen Sie sich?
Bin ich mir als junger Mensch meiner Entscheidungen bewusst? Werde ich mein Leben tragen können, egal, was da kommen mag? Welche Erwartungen habe ich? Lebe ich bewusst im Jetzt und Hier? Oder in Sorge um die Zukunft? Oder im (möglicherweise sentimentalen) Blick zurück? Kann ich im Rückblick dankbar Bilanz ziehen? Womit habe ich mein Leben gefüllt (Symbolik: Gefäße – „erdrückt“ das Lebensgefäß der älteren Frau diese – oder gibt es ihr einen sicheren Rahmen)?
In meiner Interpretation steht die Frau im blauen Kleid für Gefühle, die augenscheinlich so gar nicht zu einer „Hochzeit“ passen wollen. Sorgen und Ängste vielleicht? Enttäuschung, Trauer, unerwiderte Liebe…? Möglicherweise sogar Gefühle, die „man nicht haben“, nicht aussprechen, sich vielleicht nicht einmal eingestehen „sollte“ oder darf… ?
Für das, was nicht so gerne wahrgenommen – mal unbewusst, mal bewusst – übersehen wird. Für all das, wo wir nicht so gerne hinschauen. Beim anderen – und bei uns selbst!
Und wer ist nun der „Zaungast“ (Titel) in dieser Szene, perspektivisch versteckt hinter einer großen Amphore? Die Frau? Oder eher Sie als Betrachter?
Zaungast
Hier sitze ich
An den Rand gedrängt
Nachdenklich
In Erinnerung schwelgend
Zerpflücke deine Worte
nach Hoffnungskrumen
Lese zwischen Zeilen
Sehe es in deinem Blick
Eine Zeitlang
schlugen unsere Herzen im Gleichklang
Du warst mir nah
Und bist doch
Meilenweit entfernt
Ich sammle Erkenntnisse -
aufgebläht und erdrückend.
Die Fülle des Lebens
hat Narben hinterlassen.
Reihe Erfahrungen
bruchstückhaft aneinander.
Wenn ich keine Perspektive sehe,
meine Zeit verrinnt
und alles vor meinen Augen verschwimmt
Bleib ich mir selbst treu
Du schaust nach vorn,
Ich schau zurück
Und dann
Drehen sich unsere Welten weiter
Was niemals war - kann nicht vergehen
Diese Liebe ist nicht meine.
Ich betrachte sie
Als Zaungast